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Donnerstag, 24. März 2016

Der Altlandkreis Kötzting und "seine" Flüchtlinge nach dem Weltkrieg

 Die Flüchtlingssituation in Kötzting 1945-1948

Einige Details und Fundstücke aus dem Kötztinger Archiv


Eines der bemerkenswerten  "Objekte" im Stadtarchiv in Bad Kötzting befindet sich nicht in den üblichen Archivalienschachteln sondern sprengt deren Rahmen und wird daher in den Regalen immer wieder von einer auf die andere Stelle umgelagert. Vielleicht ist die alte "Schublade" mir auch deshalb so oft aufgefallen.

In dieser Schublade befindet sich ein Teil der Kötztinger "Flüchtlingskartei" aus der Nachkriegszeit.
Alle vorhandenen Listen zusammengefasst - selbst ohne die fehlenden - wohin auch immer diese in den Nachkiegsjahren sich verflüchtigt haben -  Buchstaben "A" und "B"  reden wir hier von 11.000 Namen. Rechnet man die fehlenden Buchstaben hoch, so musste der Altlandkreis Kötzting mehr als 12.000 Menschen unterbringen, ernähren, heilen und ihnen eine Perspektive gewähren, so schwer es damals auch  auch war. Diese Situation ab Mai 1945 war wohl im wahrsten Sinne alternativlos.

Bevor ich hier tiefer in die Situation der ersten Nachkriegsjahre einsteige, hier noch eine Vergleichszahl vom März 2016, die die Leistungen unserer Vorväter eigentlich nur umso größer erscheinen läßt.
Ich habe einfach mal im Presseamt des Landratsamtes in Cham nachgefragt und gebeten mir die aktuellen Zahlen der Asylbewerber im Bereich des Altlandkreises mitzuteilen: hier die Antwort:

"im Bereich des Altlandkreises Kötzting sind derzeit 375 Asylbewerber in 
dezentralen Unterkünften /Gemeinschaftsunterkünften untergebracht."

 Nun aber zurück um mehr als 70 Jahre, es geht zurück in die letzten Jahre des Zweiten Weltkrieges:


Karteikarten von Flüchtlingen im Stadtarchiv Bad Kötzting - jede Karte ein Einzelschicksal



eine alte Schublade für einen Teil der "Flüchtlingskartei"

Bereits in den letzten beiden Kriegsjahren, nachdem als Folge der Bombenangriffe auf die deutschen Großstädte sehr viele Menschen dort ihr Leben und viele andere ihre Heimat verloren, stieg in den ländlichen Gebieten, die vom Krieg noch weitestgehend verschont gewesen waren, der Anteil an "Ausgebombten". Auch die Kinderlandverschickung war im Dritten Reich gängige Praxis um die städtische Bevölkerung zu unterstützen,  die besetzte Tschechoslowakei, Bayern, Württemberg und Österreich waren die bevorzugtesten Ziele dieser Rettungsmaßnahme. Beim endgültigen Zusammenbruch der Front im Frühjahr 1945 waren natürlich noch viele Kinder in diesen KLV Lagern versammelt und wurden durch die Entwicklung einfach überrollt. Vor allem für die Kinder, zB. aus dem Ruhrgebiet, die in der Tschechoslowakei gestrandet waren, waren die Bedingung äußerst problematisch. Hier ein zeitgenössischer Bericht einer Kindergruppe, die es dann nach langer Wanderung bis in den Raum Kötzting schaffte:
"Die in Böhmen und Mähren untergebrachten KLV-Lager mussten sich angesichts der schnell nahenden Front - zumeist in Eigeninitiative und unter oft abenteuerlichen Umständen - im Frühjahr 1945 auf den ungewissen Weg nach Westen machen. So traf etwa die Alfred-Krupp-Schule, nachdem sie am 20. März zunächst von Horschitz nach Prag verlegt worden war, am 19. April in Waldkirchen im Bayrischen Wald ein. Drei Tage später verschlug es auch 180 Schülerinnen der Maria-Wächtler-Schule mit Direktor Gliemann vor Wihorschau kommend nach Kötzting ebenfalls im Bayrischen Wald. Der Weg war überaus mühsam, mussten bei Schneesturm doch rund 60 km zu Fuß zurückgelegt werden, wobei zudem der Großteil des Gepäcks in Böhmen zurückbleiben musste. Zunächst in Scheunen untergebracht, konnten die Schülerinnen im Laufe des Frühjahrs 1945 auf Bauern verteilt werden, wo sie noch im Juli auf Strohsäcken schliefen, bis sie im August 1945 nach Essen zurückreisen konnten."
Diesen Hinweis zusammen mit der nächsten Erklärung habe ich vom Kötztinger Archivpfleger Herrn Heinz Lautenschlager erhalten:


"bei Archivarbeiten in Hohenwarth fanden wir heute Vormittag einen Hinweis auf ein
K. L. V–Lager (Kinderlandverschickung), das später als Flüchtlingslager diente. Wir nehmen an, dass es sich um ein Gasthaus in Hohenwarth handelte."

Das waren aber erstmal nur die Kinder, die, zumindest anfangs sehr kontrolliert und manchmal auch nur in den Ferien, aufs Land geschickt worden waren, aber nun setzten die ersten großen Flüchtlingswellen ein und dies resultierte nach der Flucht aus den unbewohnbaren Stadtzentren vor allem durch die Absetzbewegungen der Menschen vor der anrückenden Front der Sowjetunion.
Vor dieser alles überrollenden Ostfront, wurden dann auch Altersheime und Krankenhäuser evakuiert und auch hier waren natürlich die Gebiete im Landesinneren das Ziel, welche eben noch nicht zerstört worden waren. Immer enger wurde es für die Deutsche Wehrmacht, sogar die Waffenproduktion wurde in kleinen Teilen in den Bayerischen Wald verlegt, so wurden bei uns gegen Ende dann auch die kleineren Ausführungen der Panzerfaust produziert und nachdem Kötzting sich den US Streitkräften ergeben hatte, wurden aus unserem Raum heraus die Verhandlungen zur Kapitulation der 11. Panzerdivision durchgeführt.
Ausschnitt aus einem Protokoll der Gendarmerie Kötzting vom 7.7.1945. Die Panzerschreckkapseln (= eine kleinere Art von Panzerfaust, waren jedoch für die Anwender viel gefährlicher als die "großen" Panzerfäuste, weil der Schütze sehr viel näher an das Objekt heranrücken musste) wurden in Regenstein produziert. Die Firma war von Fürth nach Kötzting verlagert worden. und war vor 1938 in Besitz eines jüdischen Geschäftsmannes mit Namen J. Bach gewesen. STA Landshut 164-8 Nr.  1917
 
Nicht nur Soldaten anderer Truppenteile, versteckt in den Reihen dieser 11.PD, sondern auch im Schutze dieser umfassenden Truppenbewegungen folgten viele Trecks an Flüchtlingen den deutschen Soldaten in den Westen und landeten somit ebenfalls im Altlandkreis Kötzting.
Die Flüchtlingswelle schwoll nach der Kapitulation noch an und wurde vor allem durch die später erfolgten zwangsweisen Vertreibungen der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei zu einer schier unlösbaren Aufgabe für das am Boden liegende Deutschland, hier genauer natürlich für unseren Landstrich an der Grenze, der ja - ein heutzutage durchaus gebräuchlicher Ausdruck - Erstaufnahmeraum war. Nur mit dem Unterschied zu heutzutage war ein Weiterreichen ins Hinterland nicht möglich, weil es dort genau so eng zuging.
Nach der Einnahme Kötztings dauerte es natürlicherweise einige wenige Wochen, bis wieder die ersten Behörden arbeiten konnten und aus dieser Anfangszeit des Landratsamtes Kötzting sind ein paar wenige Dokumente überkommen, die aber ein deutliches Schlaglicht auf die Bedingungen werfen, mit denen die Bevölkerung und die Flüchtlinge in unserem Raum in den Jahren 1945 bis 1948 fertig werden mussten.
Hier nun ein paar Ausschnitte aus amtlichen Schreiben:
Der Kötzting Landrat Dr. Weiger schildert den Zustand Kötztings vor, während und nach dem
Einmarsch der Amerikaner StA Landshut Rep 164-8

 

2. Teil des Berichtes.
 Da es an allen Mitteln des täglichen Lebens fehlte, also nicht nur Nahrungsmittel allein, war es von Interesse, was in den Wagons des Zuges vorhanden war, welcher auf dem Bahnhof in Miltach stand und nach einem Fliegerangriff nicht mehr bewegt worden war.
StA Landshut Rep 164-8


im März 1946 fasste die Gendarmeriestation Kötzting die Lage zusammen: StA Landshut Rep 164-8

All das sind Symptome für die Schwierigkeiten bei uns im Altlandkreis Kötzting, wie man sie nach dem Ende eines solchen Krieges auch vorstellen kann. Wie dramatisch allerdings die Lage sich bei uns durch die enorm hohen Zahlen an Flüchtlingen entwickelte, zeigt ein Bericht desselben Landrats vom Frühjahr 1946:





 Um 40% also hatte die Bevölkerung Kötztings im Vergleich zur Friedenseinwohnerzahl zugenommen, dieser Vergleich fällt sogar noch zu schwach aus, weil die "Friedenseinwohnerzahl" der früheren Einwohner noch gar nicht wieder erreicht werden konnte, weil viele Männer gefallen waren bzw. noch in Kriegsgefangenschaft ausharren mussten.
Interessant ist hier zu lesen, dass die Schlesischen Flüchtlinge, die hier in großen Mengen untergebracht werden mussten, "ganz andere Lebensgewohnheiten haben als die hiesige Bevölkerung." 
Nicht nur in diesem Punkt gibt es Parallelen zur heutigen Entwicklung, Noch im Jahre 1950 erschien ein Hilferuf veröffentlicht von einem Verbund mehrerer bayerischer Wohlfahrtsverbände:


Noch 1950 also als das, "später sogenannte", deutsche Wirtschaftswunder bereits Fahrt aufgenommen hatte, stand Bayern immer noch vor den Scherben der Kriegszeit und bilanzierte seinen Bevölkerungszuwachs im Vergleich zu 1939:
 Auch in der, bis jetzt leider nicht mehr auffindbaren "Chronik des Landkreises Kötzting", sind Probleme mit den anrollenden Flüchtlingstransporten dokumentiert und wurden in den 60er Jahren auch in den Zeitungen im Rückblick veröffentlicht:




Ausschnitt aus der Kötztinger Zeitung von 1966, also 20 Jahre nach den geschilderten Ereignissen, der Text ist dem Drucksetzer wohl etwas verrutscht.......;-))



Zusammenfassend und rückblickend kann man nur Bewunderung für unsere Großväter bzw. Vätergeneration in der Nachkriegszeit haben, die diese enorme Zahl ans Menschen und Schicksalen und das auch noch unter den katastrophalen Bedingungen einer Nachkriegszeit  aufnehmen und, sicher mehr schlecht als recht, ernähren konnten und schön langsam gemeinsam auch eine Perspektive für die Zukunft Bayerns und Deutschlands entwickelten.