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Donnerstag, 14. November 2013

Überraschungsfund im Bauschutt des Kötztinger Amtsgerichtsgefängisses


Spuren der Massenverhaftungen der NSDAP vor 80 Jahren verweisen auf  Kötztinger Bürgersfamilien:


auch wenn ich schon oft in Archiven Akten gefunden habe, mit denen ich speziell an dieser Stelle nicht gerechnet hatte und auch wenn solche Überraschungsfunde ein wenig das Salz in der Suppe des heimatgeschichtlich Interessierten sind, so gibt es doch Funde und Fundorte, die eigentlich unglaublich sind.

Am Mittwoch dem 30.10. kam von der Bauabteilung der Stadt Bad Kötzting die Nachricht, ich möge  zu Ihnen in den zweiten Stock hinaufkommen, Sie hätten etwas für mich.
Oben im Zimmer Josef Buckeleys lag auf dem zentralen Tisch eine schmutzige, staubige Transportkiste, übervoll mit Aktenmaterial, so dass sogar der Deckel halb offen stand. Beim Abbruch des Dachstuhles im - in dieser Reihenfolge - Fronfeste,  Amtsgefängnis, Gesundheitsamt, Finanzamt wurden zwischen den Dachbalken und Fußbodenbrettern Reste von Aktenmaterial und einfachen fadengebundenen Bänden gefunden.



oben links in orange, die Fronfeste Plannummer 109 Ausschnitt aus der Uraufnahme Kötztings von 1831 aus dem Buch Kötzting 1085 - 1985

Also, hinunter mit dem Material ins Archiv und einen schnellen Blick auf das Material geworfen. Dann aber sogleich Abbruch der Sichtung und schnell rüber auf die Baustelle um rauszubekommen, ob da nicht vielleicht noch mehr sein könnte. Im Dialog von der Straße hinauf auf den Dachstuhl, bei laufenden Baumaschinen und dem Straßenverkehr, lies sich zwar mühsam aber doch sehr schnell klären, dass bereits der Neuaufbau des Dachstuhles im Gange war und nichts mehr gefunden werden konnte. Ich bedankte mich bei dem Vorarbeiter, dass er so umsichtig reagiert hatte, und freute mich über den Fund.

Es ist im Wesentlichen Material aus dem Zeitraum von 1897 bis 1940 und zwar:
die tageweise aufgeschlüsselten Jahresrechnungen des Metzgermeisters Krämer (später Metzgerei Barth in der Müllerstraße)
 die tageweise aufgeschlüsselten Jahresrechnungen des Bäckermeisters Hofmann (später Bäckerei Liebl in der Torstraße)
die Tageweise aufgeschlüsselten Rapportbücher (= mehrmalig tägliche Zählung der Gefangenen und Aufschlüsselung der unterschiedlichen Gefangenenarten)
Kostenvoranschläge des Amtgerichtes
Aufschlüsselung der Heizvorräte
einige Entlassbücher mit großen Lücken.
Diese Entlassbücher sind die einzigen "Dokumente", die Personennamen enthalten, aber keinerlei Hinweise wie Geburtsdatum oder Wohnort, sollten also auch datenschutzrechtlich unbedenklich sein.





Soweit nun die summarische Zusammenstellung, damit hatte es sich aber auch schon, denn in meinem Büro staubte es aufgrund der verschmutzten Archivalien wie in einem Mehlhaferl. Also Abbruch der Arbeiten und Aufschub um eine Woche und dann Archivarbeit mit dem Staubsauger....jeder einzelne Band wurde vorsichtig entstaubt.... Ziegelreste, Kalkablagerungen, Ruß, Sägespäne und einfach nur Dreck waren die Anhaftungen und nach einem langen Vormittag und mehreren Besuchen am Waschbecken konnte ich schon mal grob alles einteilen und Häufchen machen.

Das Ergebnis nach der Grundreinigung und Sortierung

                        Fleischzuschlag in der Jahresrechnung für die Gefangenen am Pfingstsonntag                                               
hier steht in der 3. Zeile: Pfingsten mehr 10x 45 gr = 0.450.Kgr
Die Inhalte sind also im Wesentlichen statistische Aufschlüsselungen und Kostenvoranschläge, trotzdem  finden sich Kleinigkeiten, die einen Kötztinger schmunzeln lassen, während die Tagesportion an Fleisch damals 105g betrug, bekamen die Gefangenen an Pfingsten - hier am 4. Juni 1933 -  45g Fleisch mehr angeliefert.
Nachdem ich das Material grob gesichtet hatte, kam mir die Idee nachzusehen, ob sich die Verhaftungswellen, die in Kötzting speziell im Jahre 1933 durchgeführt worden waren, sich möglicherweise in diesen Tabellen wiederfinden ließen.

1933 - 2013    80 Jahre nach der Machtergreifung und der Gleichschaltung:

Als Folge der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, als Kopf einer Koalitionsregierung, nutzte Adolf Hitler seine Macht, um für den 5.März SEINE Reichstagswahl anzusetzen. Mitten in den Wahlkampf hinein, platzte dann der Reichstagsbrand in Berlin und als direkte Folge liefen noch in der Brandnacht die Verhaftungswellen, zuerst noch gegen die Kommunisten, an. Da der am Tatort festgenommene Marinus van der Lubbe angeblich auch Verbindung zur SPD zugegeben hatte, geriet auch diese Partei in den Fokus der Behörden. Die sozialdemokratische Presse, aber auch die Wahlplakate der Partei, wurden für 14 Tage verboten















Hier kommen nun die Kötztinger Rapportbücher ins Spiel:

 In den Rapport bzw. Meldebüchern steigt am Ende März 1933 die Zahl der inhaftierten Gefangenen rasant an und am Rande ist auch in einer Sonderrubrik ein Buchstabe "P" vergeben, der nur in den beiden Verhaftungswellen vorkommt und vermutlich die Anzahl der "politischen" Gefangenen kennzeichnet.
Genauer gesagt ab den 15.03.1933 beginnt die Zahl der politischen Häftlinge anzusteigen von zuerst 5 Personen am 15.03. gleich dann ein Anstieg auf über 30 Personen mit dem Höhepunkt mit 35 politischen Gefangenen am 7.4.1933. Danach wurden es dann langsam weniger, bis am 28.04. zum letzten Mal 20 Personen dieser Kategorie gelistet worden waren. Ob die Gefangenen entlassen oder aber in die neu geschaffen Konzentrationslager überführt worden waren geht aus den Unterlagen nicht hervor.





Eine zweite Verhaftungswelle überrollte in Kötzting dann am 26. Juni die Gemeinderäte der BVP, der bayerischen Volkspartei, die in Kötzting wie in vielen anderen bayerischen Städten, stärker war als die NSDAP selber. Der Kötztinger Bürgermeister Schödlbauer der BVP wurde durch Benno Hoiss von der NSDAP bereits im März 1933 ersetzt.

Im Juni 1933 erging dann der Befehl an den Gau Bayreuth, die Funktionäre der BVP in "Schutzhaft" zu nehmen. Die Kötztinger - hier betrifft es den ganzen damaligen Landkreis Kötzting - nahmen den Befehl mehr als wörtlich und inhaftierten an diesem Tage sämtliche Gemeinderäte der BVP.
Das Amtsgefängnis Kötzting, das, laut der eigenen Beschreibung nur für 24 Gefangene ausgelegt war, platzte an diesem Tag aus allen Nähten. Zeitgenössische Berichte erzählen von gefüllten Gängen, Büroräumen und Treppenhäusern.




Alois Dachs, interviewte im Jahre 2003 zwei Zeitzeugen dieser Vorkommnisse und veröffentlichte die Aussagen ganzseitig in der Samstagsausgabe der Kötztinger Umschau vom 6./7. Dezember 1933

Alois Dachs in der Kötztinger Umschau 6.12.2003






































Beachtenswert ist auf dem Bild des Pfingstrittes 1933 vor allem das Geschäft eines der zwei jüdischen Familien Kötztings, das Geschäft des Julius Kirschner. Der "Kirschner Juler", wie er genannt wurde, betrieb unter anderem ein Bekleidungsgeschäft mit angeschlossenem 
Pelzhandel und war darüber hinaus auch einer der, wenn nicht DER Retter und Förderer des Kötztinger Fußballs. Eine Würdigung der beiden Kötztinger Familien Kirschner und Hahn bleibt einer späteren Abhandlung vorbehalten, da ist meine Stoffsammlung noch nicht abgeschlossen. Auch sollte man auf die Tanksäule schauen, Herr Kirschner betrieb eine der damals sehr zahlreichen Tankstellen in Kötzting.

Detail des Hauses in der Marktstraße vermutlich aufgenommen aus dem Anwesen Voithenleithner Bild im Besitz des AK Heimatforschung


 Doch zurück zu den im Zeitungsbericht beschriebenen Vorgang und seinem Niederschlag in den Rapportbüchern:


Hier sind am 26.06. zwar anders als in dem Bericht angeführt,  nur 22 politische Gefangene aufgeführt, aber angesichts der laufend eingelieferten Gefangenen und der chaotischen Situation sind wohl viele gar nicht aufgenommen worden.
Das Ganze hatte dann aber doch Folgen, die den Kötztinger Magistrat vollständig umkrempelten. Wie oben bereits angeführt wurde der BVP Bürgermeister Schödlbauer bereits durch Benno Hoiss von der NSDAP ersetzt und nun sahen sich die restlichen Gemeinderatsmitglieder der BVP veranlasst ebenfalls ihre Rücktritte zu erklären.
Damit konnte die NSDAP mit eigenen Nachrückern den vollständigen Gemeinderat stellen.

Im Stadtarchiv finden sich die Rücktrittserklärungen der Gemeinderäte:
Wilhelm Oexler, Clemens Pongratz und Leopold Januel, die alle mehr oder weniger gleichlautend unter Bezugnahme auf die Vorkommnisse vom 26. und 27. Juni 1933 ihren Rücktritt erklärten.
Die ganze Verhaftungsaktion ist auch gut im Staatsarchiv Landshut dokumentiert, wo die gesamten Namenslisten all der Verhafteten im Altlandkreis Kötzting vorliegen. In anderen Kreisen und Städten waren nur die hohen Funktionsträger der BVP verhaftet worden.
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Rücktrittserklärung des Clemens Pongratz, Bäckermeisters und Gemeinderats der BVP  in Kötzting


Rücktrittserklärung Wilhelm Oexler, Gemeinderat der BVP in Kötzting

Rücktrittserklärung Leopold Januel Gemeinderat der BVP in Kötzting

Mit den Rücktritten der BVP Gemeinderäte gab sich die NSDAP aber noch nicht zufrieden. Die Gebrüder Oexler, Max, Wilhelm und Vitus, Clemens Pongratz und Karl Wiesmeier bildeten die Beschuldigten in einem anonymen Schreiben, dessen Wahrheitsgehalt der damalige Ortsgruppenleiter Schuder ermitteln sollte. Seine Beurteilung über die drei Gebrüder Oexler ist in seiner Derbheit nicht zur Veröffentlichung geeignet, spricht aber in seiner Wortwahl Bände über die Menschenverachtung der Machthaber im Dritten Reich. Clemens Pongratz kommt hier mit zivileren Worten weg.
Trotzdem hier die Abfolge des ganzen Vorganges, die folgenden Kopien stammen alle aus dem Staatsarchiv Landshut Spruchkammer Kötzting 1947:
zuerst ein anonymes Schreiben
dann die Aufforderung der Sache nachzugehen
und am Ende die Antwort von OGL Schuder und dem Pg. Kirschenbauer, alle drei nur in Auszügen:
kleiner Ausschnitt des zweiseitigen handschriftlichen Beschuldigungsschreiben: ...So sind da mehrere so gefährliche Tiere, mehr kann man da nicht mehr sagen. Herr Pongratz, Bäckermeister und Herr Oexler Max sind alle Tage beisammen und schimpfen was sie können, das Hitler Zeichen Hand hoch ist ihnen eine Fopperei. Auch ist ein gefährlicher Herr Wühr, Wagner in Kötzting, denn wo diese sind und treffen da mit einem Parteigenossen zusammen geht die Spotterei an......

Auftrag der Sache nachzugehen

die harmloseste Beurteilung der fünf ausgeforschten Personen
In der lebhaften Schilderung der Verhaftung und der Versorgung der drei Kötztinger Bürger und Gemeinderäte mit Spielkarten und Lebensmitteln (wohl im Wesentlichen Bier), wie Sie von Frau  Barbara Schödlbauer erzählt worden war, zeigt sich auch eine enge Verbindung der drei Familien Oexler, Pongratz und Januel. In Privatbesitz finden sich einige Bilder, die dies dokumentieren können:

Bild von einem gemeinsamen Familienausflug: 1 Oexler Franz, der spätere Pfingstbräutigam von 1945, 2 sein Vater Oexler Wilhelm und 3 seine Schwester Ella, verheiratete Zigan. 4 Pongratz Barbara verheiratete Schödlbauer, 5 Pongratz Anna, verheiratete Weissenberger, 6 Pongratz Heinrich gefallen 1944, Begleiter des Pfingstbräutigams Leopold Januel 1939  und 1944 bei Huber Xaver, 7 Anna Pongratz die Ehefrau von Clemens Pongratz, eine geborene Meillinger aus Roding und 8 möglicherweise Herr Kroher. Mittlererweile konnen durch die dankbare Hilfe von Frau Ludwig und Frau Zigan auch die anderen Personen identifiziert werden: Also Herr Kroher Nummer 8 wurde bestötigt, bei den anderen handelt es sich um: 9 Emmeram Stadler, 10 Hans Friese, 11 Lehner Hans, gefallen, 12 Röhrl Karl (Frisör), 13 beide wohl, hier bleibt das einzige Fragezeichen: Auto Röhrl, Fahrschule, 14 Frau Schubauer, die gute Seele der Turnhalle bis weit in die Nachkriegszeit, 15 Röhrl Fritz, 16 Weixel/Windisch, die Oma von Herrn Dr. Weixel, 17 Röhrl Linerl, eine spätere Pfingstbraut, 18 Frau Röhrl, 19 Röhrl Gretl, 20 Herre Michael, 21 Frau Friese


Pfingstbrautpaar von 1939 Leopold Januel und Dreger Maria mit den beiden Begleitern Grassl Richard links und Pongratz Heinrich rechts
Clemens Pongratz rechts auf seiner Terrasse am Marktplatz mit seinen Nachbarn Sperl Schorsch und Poidl
All diese Vorgänge um die Gemeinderäte der BVP finden sich dann auch in verschiedenen Spruchkammerverfahren Kötztinger Bürger nach 1946 wieder und der 1933 abgesetzte Bürgermeister Schödlbauer wurde 1945 von den Besatzungsmächten gleich wieder als neuer Bürgermeister eingesetzt und wurde auch bei den ersten freien Gemeinderatswahlen am 27. Januar 1946, nun für die neu gebildete CSU (hieß damals noch Christlich Soziale Vereinigung), von der Bevölkerung  wieder gewählt,
Wahlvorschlag der "CSU" für die Kommunalwahl 1946
  Auch der Bäckermeister Clemens Pongratz, mein Großvater, war gleich nach dem Krieg erneut Gemeinderat, trat aber aus gesundheitlichen Gründen danach nicht mehr an. Als unbelasteter Zeitzeuge war er auch in vielen Spruchkammerverfahren beteiligt und in einigen noch privat erhaltenen Unterlagen von solchen Verfahren, zeigt sich auch seine aktive Beteiligung an der Aufarbeitung des Dritten Reiches.
Auch wenn die Rolle der Kötztinger BVP im Dritten Reich weitgehend bekannt ist, so ist doch der Fund der verstaubten Archivalien im Dachstuhl des alten Amtsgefängnisses eine große Überraschung und so finden sich tatsächlich Spuren der eigenen Familiengeschichte vor Ort vermischt mit der "großen" deutschen Politik manchmal sogar mitten unter dem Bauschutt.

All die zitierten Akten des Überraschungsfundes befinden sich im Moment in Verwahrung des Stadtarchives Bad Kötzting und sind einfach formal dem Kötztinger Archivgut einverleibt worden. Die Zukunft wird zeigen ob dies auch zu Recht geschah, oder aber ob eine andere Behörde sein Recht auf dieses Material geltend machen wird oder kann.



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